Es wurde schon viel über den Niedergang des stationären Handels geschrieben und genau soviel darüber, dass jetzt alle digital werden müssen. Wenn man nicht digitalisiert, wird man abgehängt und verliert solange Marktanteile bis man irgendwann zumachen kann, Spitzenlagen hin, Exklusivsortiment her. So das Mantra. Versucht man dieser Digitalisierung mal konkrete Formen zu verleihen, landet man irgendwo zwischen „die Verkäufer laufen jetzt alle mit Tablets rum und können im Onlineshop die Produkte raussuchen und noch was drüber erzählen“ und „während der Kunde die Ware am Regal, in dem nur der Aussteller liegt, per PayPal zahlt, übergibt das automatisierte Lager das eigentliche Produkt an einen autonom agierenden Roboter, der das Paket zu mir nach Hause fährt“. Die Vorstellung liegt also irgendwo zwischen Digi-washing und Science-Fiction. Doch wie kann ich die begrenzten Recourcen, bereits bestehende Geschäftsprozesse und Immobilien in einen digitalen Workflow einbetten, der Sinn macht und mir einen nachhaltigen Mehrwert schafft?
Spoiler: jedenfalls nicht, indem ich in meinem Sushi-Restaurant, meine Gäste per i-Pad bestellen lasse. Und auch nicht, in dem ich in meinem Warenhaus einen Amazon-Kasten aufstelle, der mit meinem Geschäft so rein gar nichts zu tun hat, sondern im Gegenteil mich Umsatz kostet!
Amazon performt. Sie liefern zu einem meist unschlagbaren Preis aus einem Riesenlager vor den Toren der Stadt, schnell und relativ (DHL-Korrektur-Wert beachten) zuverlässig ein Sortiment aus, das bei klassischer Warenhaus-Präsentation in einer Innenstadtlage eine Verkaufsfläche bräuchte, die weder verfügbar, noch bezahlbar noch gesellschaftlich erwünscht wäre. Wie kommt man also an den Internetriesen vorbei? Indem man sich an das hält, was man besser kann. Im Internet findet die reine Warenbeschaffung statt. Dort recherchiere ich etwas, das ich brauche, Rezensionen helfen mit etwas Erfahrung bei der Entscheidung, man bestellt es und wenn es die Post nicht verkackt, war´s das auch schon.
Im stationären Handel habe ich Zugriff auf alle Sinne der Kunden, auf das Erleben und ihre Emotionen. Ich kann dort Marken und Produkte inszenieren, mit deren Eigenschaften sich die Zielgruppe identifizieren kann und allein das Betreten eines Ladens zum Bekenntnis zur Zugehörigkeit einer Gruppe erheben. Hier kann ich in konsequent umgesetzten Markenwelten den Kauf eines Produktes zur Übergabe eines heiligen Totems choreographieren, sodass der Kauf weit über die reine Waren-Beschaffung hinaus emotional wirksam ist und im Gedächtnis bleibt.
Betritt man die Haushaltswarenabteilung von Karstadt und vergleich das Gefühl, das einem dort entgegen schlägt, mit dem im vorangegangenen Absatz vorherrschenden Enthusiasmus, macht einen die Trostlosigkeit dort betroffen. Die Präsentationsform ist auf den Vorgang der Warenbeschaffung ausgelegt, ein paar Informationen am Preisschild, das wars. So oder so ähnlich zieht es sich durch fast alle Geschäfte. Mal ist ein bisschen mehr los, mal weniger und bis auf den Fall des Samsung-Stores auf der Zeil in Frankfurt habe ich persönlich noch keinen vollständig mit dem Online-Geschäft verbundenen Laden gesehen.
1. Die Verbindung von Online und stationärem Handel
Online und stationären Handel zu verbinden, scheint immer noch ein großes Problem zu sein. Dabei wäre es relativ einfach, ein existierendes Lagersystem auf einen Onlineshop auf zu schalten und im Falle von mehreren Filialen eines Geschäftes die Bestände zusammen zu führen und zu nutzen. Nehmen wir den Fall von Schuh Fink in Wiesbaden. Schuh Fink hat 3 Filialen in Wiesbaden und ist als Marke, Teil von Schuh Klauser aus Wuppertal. Die Wiederum gehören zur Ara AG die weitere Töchter und Marken unter ihrem Dach beherbergt.
Warum stehe ich in Wiesbaden in Filiale eins vor einem Verkaufsregal mit einem Schuh in der Hand, während mir die Verkäuferin einen Schuh sucht und mit trauriger Miene aus dem Lager kommt und mir mitteilt, dass es diesen Schuh nur noch in Blau gibt. Warum hat diese Verkäuferin kein Tablet dabei und weis, nach ein paar klicks, dass es dieses Modell noch in gewünschter Farbe und Größe ein paar Straßen weiter in Filiale 2 gibt und reserviert es mir dort nicht direkt? Das wäre ein kleines aber mächtiges Werkzeug mit dem ich den Mehrwert a) meiner Präsenz in der Stadt und b) meines auf den aktuellen Warenbestand vor Ort reagierenden Onlineshops voll ausfahren und abschöpfen kann. Gegen vernetzte Warenbestände im lokalen Einzelhandel kommt kein Internetkonzern an. Man Muss dabei nicht so weit gehen, sich vor zu stellen, alle Warenhäuser hätten ihre Bestände in einem zentralen Online-Verzeichnis auf das man vor Ort zugreifen könnte. Es bräuchte ein Abrechnungssystem, dass Empfehlungen und Provisionen einbezieht und eine kritische Masse an Händlern, die Ihre Bestände erfassen und laufend aktualisieren. Der Aufwand dafür wäre bestimmt immens, doch das wäre die endgültige Antwort auf die Krise des Einzelhandels und das Ende des Onlinehandels in den Städten.
2. Warenhäuser zu Erlebniswelten
Online Handel ist Blindflug mit Instrumenten. Gehe ich auf eine Website und bestelle ein Produkt, dass ich vorher nicht in der Hand hatte, ist die Gefahr groß, dass ich irgendwelche Überraschungen erfahre, die mir das Produkt vergällen. Da passen die Schuhe/Hosen/Oberteile nicht, weil die in dieser oder jener Marke anders ausfallen oder mir das Material nicht gefällt, das Laptop einen herausstehenden Akku hat, was man online auf keinem Foto gesehen hat, das Ladegerät des Tablets absurd groß ist usw… 1000Dinge, die bei einem stationären Kauf sofort aufgefallen wären, machen jetzt das Ausfüllen eines Rücksende-Etiketts und einen Gang zur Post nötig.
In lokalen Warenhäusern bietet sich mir die Möglichkeit, Waren in ihrer Materialität aus zu stellen und zu präsentieren und durch die Reduzierung des Flächenbedarfs für reine Produktausstellung wird Platz geschaffen für eine Vielzahl von Inszenierungsmöglichkeiten. Da können digitale, direkt aufs Produkt bezogene Exponate die Produktausstellung ergänzen, oder ganz analoge, abstrakte, die Markenidentität des Händlers konstituierende Objekte Platz finden und wirken. Auf diesen Flächen wird, auf den ersten Blick vom Verkaufsdruck befreit, die Zielgruppe von Kunden zu Fans konvertiert.
Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass es für den Einzelhandel mehr Möglichkeiten gibt, digitale Vernetzung zu nutzen, als umgesetzt werden können und die einzelnen Maßnahmen je nach Branche, Betriebsgröße und -lage zusammengestellt werden müssen. Zusätzlich werden durch die konsequente Digitalisierung langfristig Flächen frei, die zum direkten und indirekten Branding genutzt werden können.