Okay, ich bin ambivalent, aber das liegt am Thema selbst. Auf der einen Seite wünsche ich mir, dass die Firmen, die so einen scheiss veranstalten von einer empörten Öffentlichkeit konsequent und nachhaltig boykottiert werden, bis sie ruiniert sind und die verantwortlichen Werber ihren Job verlieren, auf der anderes Seite, bin ich mir der Versuchung bewusst, die der eine oder andere eben dieser Werber verspürt, die Reichweite der Werbung eines Kundens zu nutzen um auf ein Thema hin zu weisen, das Ihm/Ihr wichtig ist. Es geht um Betroffenheits-Werbung.
Vor einer Woche habe ich auf der PAGE-Homepage einen Blogeintrag über einen neuen Gilette Spot gesehen, in dem sich ein junger Mann, der sich als Transgender entdeckt das erste mal rasiert und dabei von Papa Tips bekommt. Ich habe mich direkt über diese verlogene Form der Anbiederung an die offene Liberale Gesellschaft aufgeregt und anschließend gefragt, ob ich mit meinem schnellen, harten Urteil nicht zu schnell war. Heute finde ich: Nein, das Urteil war gerecht, Gillette kann sich ihr Re-Branding mal sonst wohin stecken, oder in Ihrem Fall sich mal sonst wo rasieren. Aber der Reihe nach.
Bei der Kommunikation solle eine Marke danach streben, die Aspekte ihrer Persönlichkeit so präzise wie möglich über abstrakte Bilder und Inhalte in den Köpfen ihrer Zielgruppen zu verankern. Einer dieser Aspekte kann eine politische Erklärung sein oder eine sozial-normative Positionierung. Hier seien die Kampagnen von Dove zu von Gewichtswerten abweichender Schönheit und Burger-King mit der Solidarisierung der LGBQ-Bewegung genannt.
Ein anderer Aspekt ist eine Ausrichtung und Solidarisierung mit aus der Gesellschaft herausfallenden Individuen.
Ein gutes Beispiel für die sozial-normative Solidaritätserklärung ist die Kampagne von Dove.
Die wird identitäts-stifend seit etwa 10Jahren gefahren und subsummiert sich in dem Satz: „hör auf dir sagen zu lassen, was schön ist und fang an dich so zu lieben, wie du bist.“ Die Kampagne ist aufgrund ihrer hohen gesellschaftlichen Relevanz und des dahinter stehenden Produktes glaubwürdig und damit wirkungsvoll. Dove verkauft unter anderem Seifen und Produkte, die unaufgeregt, natürlich und konstant durch den Beauty-FMCG Markt fahren. Während andere Marken jede Woche neue Sensationen feiern, produziert Dove einfach weiterhin die Seife, die wahrscheinlich schon die Mütter der aktuellen Models benutzten oder kannten.
Mittlerweile hat Dove eine ganze Reihe von Kampagnen unter der „real-beauty“ Flagge gefahren, zuletzt die Einführung eines „no-photoshop“-Siegels, das garantiert, dass die abgebildeten Personen nicht digital verändert wurden.
Ein gutes Beispiel für den sowohl politischen, als auch Sozial-normativen Soli: Burger-Kings „Proud Whopper“
Hier hat sich Burgerking am GayPrideDay mit der LGBQ-Bewegung solidarisiert und ist dabei ein relativ hohes Risiko eingegangen. Denn ausserhalb der großen Städte findet man in den USA eine Bevölkerung vor, die mit der großen weiten Welt und ihre neuen Entwicklungen, den Kontakt verloren zu haben scheint. Klar kann man das jetzt noch von nord nach süd differenzieren, wo das Einstellungset von konservativ zu mittelalterlich wandert, doch sich derart auf die Seite der LGBQ-Bewegung zu stellen widerspricht allen Regeln der Zielgruppenorientierung. Viel mehr eröffnet man dadurch zusätzliche Aufgabenfelder. Sich der liberalen offenen Gesellschaft zu nähern bedeutet, neben einer Annäherung an eine ökonomisch besser gestellte Gruppe, auch sich einer besser Gebildeten und aufgeklärteren Gesellschaft zu nähern, die an eine Fast-Food Kette höhere Ansprüche hat. Anyway, Burger Kings Vorstoß in dieser Sache ist nicht der Versuch Burger jetzt auch an Schwule und co zu verkaufen, sondern eine große Geste zur Aufwertung ihrer Marke mit Radiationseffekt auf den Rest der Gesellschaft. Ein soziales und politisches Statement, das mir aufgrund seines hohen Risikopotentials auf jeden Fall glaubwürdig erscheint.
Worst Case Beispiel: Mac-Donalds „Dead Dad“-Spot
Ein Junge fragt seine Mutter wie sein Vater war. Offensichtlich ist er tot. Die Mutter erzählt, der Junge vergleicht sich, findet keine Gemeinsamkeiten, ausser dem Soßenfleck am Kinn beim Essen eines MacDonald Burgers „den hatte dein Vater auch immer“.
Der Verlust eines Familienmitgliedes ist ein persönliches Schicksal, mit dem Einzelne in der Gesellschaft zu tun bekommen, sei es durch Krankheit, Selbstmord oder Unfall. Keinesfalls sollte dieses Thema auch noch ausgerechnet von MacDonalds in einem kommerziellen Spot benutzt werden um Burger zu bewerben. Deutlich wird das, wenn man das Szenario folgendermaßen überspitzt: „Eine Frau und ein Mann erzählen sich Geschichten über Ihre vor 2 Jahren an Krebs gestorbene, 7-Jährige Tochter und sehen sich ihre Fotos an. Sie gehen spazieren und treffen sich dann mit dem Rest der Familie bei MacDonalds, weil die Kleine damals so gerne dort Chicken McNuggets gegessen hatte…“ Reaktion? Ja, Genau.
Der Unterschied zur Burger King Aktion liegt darin, dass das Thema nicht einzelne, sondern die Gesellschaft als Ganzes betrifft, dass Burger King sich in einem kontroversen Thema positioniert hat und anders als MacDonalds nicht nur emotionalisiert, sondern seine Identität als Ganzes ausbaut.
Vielleicht sollte ich nochmal über den Transgender-Jungen aus dem Gilette Spot nachdenken. Das Thema ist gesellschaftlich relevant und noch überhaupt nicht auf dem Schirm von 98% der Menschen. Die Meisten wissen, dass es Transgender gibt, doch wo die Trennlinie zwischen einem Transgender und einem Transvestit verläuft und mit welchen Problemen man da zu tun hat ist komplett weißes Gebiet auf der Mind-Map der Gesellschaft. Hier eröffnet Gilette in den komplett gespaltenen United States of Trump eine Diskussion, fasst ein Eisen an, dass schnell heiß werden könnte und positioniert sich deutlich. Ja, okay. Die haben mein go!