Als in den 80ern die Leute vor dem Fernseher saßen und Thomas Gottschalk dabei zusahen, wie er die Bundesrepublik mit wilden Outfits und frechen Sprüchen schon mal vor-vereinte, ahnte niemand, dass ein paar Jahre später ein Ding namens Internet Ihn und seine Zunft an den Rand der Bedeutungslosigkeit drängen würde. Es kam, wie es kam, die Leute verschwanden für ihn und die Sender vorerst unerreichbar hinter Rechnern und Smartphones und arbeiteten an dem Traum mit den neuen Werkzeugen eine digitale Öffentlichkeit zu erschaffen, die frei von der Kontrolle durch Sender, Regierungen, Knotenpunkte sich selbst organisieren würde und das nach der mit Schwarmintelligenz ausgestatteten Staatsgründung im Internet die physische Welt folgen würde. Dass schon damals ein Großteil des Daten-Traffics auf Pornographie entfiel, lassen wir hier jetzt mal in den Hintergrund treten, ist ja auch nicht weiter wichtig. Es kam abermals, wie es kam und statt der anarchistisch organisierten digitalen Gesellschaft bekamen wir durch glatte, benutzerfreundliche Oberflächen, die wir von Firmen wie StudiVZ oder Google zur Verfügung gestellt bekamen die selben Knotenpunkte zurück, die wir 10Jahre zuvor hinter uns zu lassen gehofft hatten.
Wer die neuen Werkzeuge nutze konnte mit wenig know-how seine digitale nicht-Existenz beenden und an der Gesellschaft im Internet teilnehmen. Paradoxerweise war durch die zentralen Knotenpunkte Google, Facebook etc das Ende der offenen digitalen Gesellschaft eingeleitet. Die Individualität die anfänglich darin bestand, wie und wo man an der Internet-Gesellschaft teilnahm, musste jetzt über andere Parameter hergestellt werden. Die neuen Werkzeuge beförderten durch ihre Strukturierung und ihren Aufbau den Wunsch sich von anderen ab zu setzen. Gleichzeitig nutzten alle das gleiche Werkzeug und mussten sich, dieses Individualitäts-Parameters beraubt, etwas einfallen lassen, um sich innerhalb des institutionellen Korsetts so frei zu entfalten wie möglich. Die Situation war ein bisschen vergleichbar mit der von Musikern nachdem die Ersten Sythesizer von Roland und Korg auf den Markt kamen. Alle nutzten dieselben Werkzeuge, also hörten sich alle gleich an. Dieses Korsett der geschlossenen Benutzeroberflächen führte dazu, dass sich auch beim digitalen Identitätsentwurf messbare Gleichheiten aufbauten und Individualität nur innerhalb der vorgesehenen Bahnen entwickelte. Gruppen sozial Gleicher entstanden, die eine ihrer physischen Realität angelehnte Kommunikation durchführten. Die große, geeinte, digitale Gesellschaft zerfiel in Kommunikations-Communities (Filter-Bubbles), die losgelöst in digitalen, mentalen Gated-Communities lebten und leben. Die Plattformen konnten erstmals diese Gruppen auf die Größe n=1 identifizieren und jedes Individuum einer Gruppe oder einem Profil zuordnen.
Die Zielgruppe war geboren und mit Ihr der zentrale Konflikt im Umgang mit Ihr. Wenn ich weis, wer ich bin, für was ich stehe, für wen mein Produkt interessant ist und ich es schaffe diesen Personenkreis an zu sprechen, welche Botschaft soll ich senden? Wie scharf soll ich mein Profil setzen? So scharf, dass ich eine Gruppe abhole und genau ihren Ideen und Werten entspreche? Damit riskiere ich eine benachbarte Gruppe zu verlieren, denen mein aufgebautes Profil nicht zusagt und sie sich damit nicht identifizieren können. Bleibe ich zu vage verliere ich diejenigen, die sich in ihrer Gruppen-Profil-Zugehörigkeit nicht gesichert genug fühlen um ein weniger identitäts-stiftendes Produkt zu nehmen. Hier gibt es keine Richtige Antwort, außer die Lehre, dass Produkte, die über bestimmte vom Benutzer zugewiesene Attribute verfügen, Identitätsstiftend sein können, und in Sub-Gesellschaften genau diese Identitätserzeugung das ist, was sie selbst in der Summe definiert.